LOVER BOY...UND ZWEI PFERDEAUGEN SCHAUEN DICH AN.....

Eigentlich wollte ich gar kein eigenes Pferd, und schon gar kein braunes. Mädchenträume natürlich – ich wollte immer einen schwarzen Hengst mit langer Mähne an der ich mich festhalten konnte wenn ich, ohne Sattel natürlich, über die weiter Ebenen der Prärie galoppierte.....oder einen feurigen Fuchs.

Aber wie immer im Leben kommt es anders als man denkt. Philosophen meinen dazu eh, daß man das bekommt was man verdient....nun ja!

Im Herbst 1997 bekam ich einen Anruf eines Rennpferdebesitzers, welcher mir mehrere Pferde aus seinem Bestand anbot. Nett gemeint, aber meine Mittel waren begrenzt so das es nur für eines reichen würde. Aber ein neues Rennpferd für unsere kleine Besitzergemeinschaft suchte ich doch.

Nur mit den Daten vom Papier und dem Hinweis, da wäre einer dabei mit Ausgleich2-Format, fuhr ich zu gotteslästerlicher frühen Zeit Ende Oktober von Berlin nach München um mir die Kandidaten anzusehen. Müde, k.o. und es war noch dunkel, kam ich ca 6 Uhr früh in München an.

Ich hatte mich telefonisch angekündigt und der Futtermeister zeigte mir den Stall, da der Trainer erst später käme. Kein Problem, so konnte ich in Ruhe durch die Boxengassen schlendern. Obwohl der Stall vom damaligen Münchner Championtrainer und fast 100 Pferde im Training, hatte der Stallkomplex eher die Atmosphäre einer Fabrikhalle.

Dafür war der Futtermeister um so zugänglicher. Er zeigte mir alle gemeinten Pferde und als er vor der Box von Lover Boy kam, meinte er noch, der wäre sein Liebling, was er gleich mit einer größeren Zuteilung von Möhren bewies.

Ich betrachtete unser potenzielles Rennpferd recht emotionslos unter dem Aspekt, ob er für uns wohl bessere Leitung zeigen würde. Bislang war er 6 mal gelaufen auf jeweils falscher/zu langer Distanz und nur ein einziges mal im Geld gewesen. Am 12. 10 lief er sein letztes Rennen in München, hustete dabei und wurde direkt danach kastriert. In der Box machte er einen eher erbärmlichen Eindruck. Das Fell stumpf und jede Rippe war zu sehen. Aber seine Augen – das war´s. Dieser Blick, neugierig, verschmitzt und doch so liebenswert. Kein Wunder das er diesen Namen bekommen hatte. Aber da war noch etwas, etwas dahinter, ich kann es nicht erklären, aber hinter dieser ganzen Fassade steckte ein starker Charakter und Können. Ich hatte mich selten getäuscht, glaubte fest das der mehr könne als er bislang gezeigt hatte.

Ich ließ mir das Pferd noch vorreiten, betrachtete Beinstellung und Galoppade aber in meinem Kopf war schon die Entscheidung gefallen. Den will ich!

Mit dem Besitzer wurde ich mir schnell einig und Anfang Dezember fand ich einen Transporteur welcher mir die Neuerwerbung nach Hoppegarten bringen sollte.

Damit fingen die Probleme an.

Alles war vorbereitet, ich wartete, nichts, abend um 21 Uhr immer noch nichts, dann ca. 23 Uhr endlich der Anruf, wir sind kurz vor Hoppegarten. Es regnete heftig als der Transporter auf den Hof fuhr und der Fahrer hatte alles andere als gute Laune. Nie wieder transportiere er ein Pferd für mich! War seine erste Aussage.

Dann machte er den LKW auf und führte ein total aufgedrehtes Pferd in unseren Stall.

Er habe in München 4 Stunden gebraucht, bevor er im Transporter stand. Auf der ganzen Münchner Rennbahn hätte man schon Wetten abgeschlossen ob er ihn überhaupt verladen bekommt, erst nach entsprechender Sedierung durch eine Tierärztin hätte es geklappt.

Das fing ja gut an. Aber da war er – Lover Boy. 3-jährig, sieglos, braun.

Was dann folgte war ein Strudel der Ereignisse, welche in erschreckender Weise mal wieder bewiesen, das Top-Rennställe, denen man ne Menge Geld jeden Monat für die Schützlinge zahlt, noch lange keine Garantie sind, daß mit Pferden dort fach- und sachgerecht umgegangen wird.

Ich ließ Lover Boy erst mal Zeit zum eingewöhnen, ließ ihn vom Tierarzt gründlich untersuchen und versuchte sein Vertrauen zu gewinnen.

Da er stark hustete, ging ich viel mit ihm spazieren, was einerseits meiner Kondition gut tat und andererseits ihm die Gegend bekannt machte. Stolz wie Oskar, führte ich ihn jedem vor der nur in unsere Nähe kam.

Die Wintermonate ritt ich das Pferd täglich selber, bis zu einem Freitag, den 13. Wir machten noch Scherze über den Aberglauben und das Datum, was ich ganz joval abtat als Humbug. Der Boden war endlich nicht gefroren und Sonnenstrahlen gaben einen ersten Hauch von Frühlingsahnung. Scheinbar auch für mein Pferd. Des ewigen trabens leid galoppierte er an und ich bekam das erste mal die Kehrseite der Medallie zu spüren. Er bekam ein Maul wie Beton, pullte und ließ sich nicht rechtzeitig regulieren. Auch mein Fehler – so unterschätze ich ihn nie mehr! Er buckelte nicht, sondern ging einfach sein Tempo weiter. Vor einer Baumgruppe meinte ich, würde er wohl doch abdrehen oder bremsen – nix da, er sah für sich wohl einen Weg durch, machte einen Haken und ich blieb an einem Baumstamm zurück während er seine Freiheit auskostete.

Ich guckte in den Himmel, dachte MIST, testete meine Beine und stand auf. Der Weg zurück ist ohne Pferd natürlich bitter, noch dazu das man den Spott der anderen Reiter umsonst bekommt. Aber alles glimpflich abgegangen und nachdem ich schimpfend im Stall zurückkam, guckte mich das Pferd an mit einem Blick, der meinte : da bist du ja endlich, wird auch Zeit. Da schwankte ich dann zwischen umbringen und streicheln.

Ab da fing für Lover Boy der Ernst des Trainings an und schnell merkten wir, daß das Pferd ernsthafte Probleme hatte. Es wurde nun schwer geeignete Reiter zu finden, welche bereit und fähig waren seine Untugenden auszustehen bzw. zu korrigieren. Ich hörte von anderen Jockeys auf einmal, das er in München als schwierig galt und was ich mir da hätte aufschwatzen lassen.

In dem Moment in welchen man Leistungen vom Pferd forderte, reagierte er mit heftigen Untugenden und bekam erheblich zuviel Nerv. Er hatte gelernt sich gegen Reiter zur Wehr zu setzen – mit großem Erfolg. Da hatte man ihm im vorherigen Stall wohl den Zahn gezogen, ihn 2jährig überfordert. Leider habe ich dieses Phänomen schon öfter erlebt, das gerade wenn die jungen Pferde sich anbieten zuviel Druck gemacht wird. 

Ich erinnerte mich an einen Satz des Münchner Trainers, der könne bestimmt mehr, im Training wäre der schon mit Agl. 2 Pferden gegangen.

Natürlich habe ich mich  dafür interessiert, was vor meiner zeit mit ihm passierte, das Puzzel setzte sich auch immer mehr zusammen aber endgültige Klarheit werde ich wohl nie bekommen.

Der vorherige Trainer meinte noch persönlich damals zu mir, ich könne dieses Pferd auch mit meinem Privatauto+Hänger abholen ohne Probleme. Dieser Versuch hätte uns beiden das Leben kosten können. Auf der Rennbahn In München wußte jeder das dieses Pferd keinen Transporter betreten würde. Ja bei dem Versuch schon total wahnsinnig reagiere. Angeblich ist das Pferd als Jährling das erste mal mit solch einem kleinen Hänger vom Gestüt alleine nach München gebracht worden. Das muß ausgereicht haben um in zu überzeugen – Hänger – Nie wieder.! Da in den großen Rennställen selten weder die zeit noch das Personal oder gar die Kenntnisse da sind um sich um auffällige oder etwas schwierigere Pferde zu kümmern werden diese meist in die Ecke gestellt. Die Besitzer werden mit Ausreden oder anderen dürftigen Erklärungen abgespeist. Viele Pferde stecken das weg, aber alle anderen fallen da durch den Rost. So manches Rennpferd würde seiner Umgebung wesentlich mehr Freude bereiten und Geld verdienen, wenn man diesen Punkt besser berücksichtigen könnte. Schließlich sind es keine Maschinen.

Auch ergaben sich immense Probleme an der Startmaschine. Von 7 Rennen in welchen das Pferd genannt wurde, lief er nur in 3 Rennen wirklich mit. Meist machte er an der Maschine solche Schwierigkeiten, das die Jockeys runterfielen oder schon im Vorfeld aus Angst nicht mehr aufsaßen. Lover Boy war kaum zu bändigen und in ganz Hoppegarten gab es niemanden der für alles Geld der Welt dieses Pferd führen wollte, geschweige den reiten.

Erst als ich das große Glück hatte Andreas Helfenbein als Jockey zu bekommen, wendete sich das erste mal das Blatt. Schon in der Jockeystube wurde Helfenbein angesprochen auf was für einen "Verbrecher“ er sitze, noch dazu ohne Chancen. Aber - das erste mal, wo ich erlebte das Lover Boy relaxt an der Maschine war und sogar ohne großes Theater rein ging. Er gewann das Rennen leicht.

Nach diesem Sieg war die Saison zu Ende und ich stand vor der Frage was nun? Was macht man mit einem Pferd, den alle als schwierig und verrückt abkanzeln, der zwar laufen kann, aber auch im Training schwer zu kontrollieren war. Welcher von einer Bezugsperson völlig abhängig war.

So hatten wir uns ein Rennpferd wirklich nicht vorgestellt. Dann kam auch der Anruf des Vorbesitzers, der fragte wie es weitergehen solle. Er wolle mir das Pferd gerne überlassen, da niemand sonst ihn freiwillig haben wolle und wenn nicht ich dann Metzger.

Fast 3 Wochen habe ich darüber nachgegrübelt, da eine solche Entscheidung auch meine eigene Zukunft erheblich beeinflussen würde.

Für mich war es mehr als einfach nur ein Rennpferd zu besitzen. Dieses Pferd würde ich wenn, niemals wieder hergeben. Nicht nur weil ich inzwischen viel persönliche Arbeit investiert hatte, auch hatte er sich mit seinem Blick in mein Herz geschlichen. Für mich wäre es also eine Lebensentscheidung und bedeutet Verantwortung über Jahre hinaus.

Ob er noch jemals eine Rennbahn sah war da auch nicht abzusehen aber ich wollte es versuchen, also entschied ich mich dafür – und sollte es bis heute nie bereut haben.

Ich hatte die Gelegenheit außerhalb der Saison in einem Halboffenstall unterzukommen, mit Round Pen ect. was ich ausgiebig nutzte und auch an der Startmaschine zu üben. Manchmal gab es Tage das wir bis zu 4 Stunden an der Maschine standen, alle anderen Trainer schüttelten nur den Kopf über uns und einige meinten, ab in die Wurst oder der bringt dich eines Tages noch um.

Allerdings gab mir der Erfolg  dann recht, Lover Boy wurde zwar kein mustergültiges Tugendbeispiel aber er ging immer in die Maschine, lief auch in den Hänger wie ein Hund hinter mir her und gewann für uns in einer Saison 4 Rennen und erreichte diverse gute Platzierungen.

Inzwischen fand ich auch einen Reiter welcher ihn gerne ritt, ja sogar förderte. Leider ergab sich aus der Situation vor Ort im nächsten Jahr keine Trainingsmöglichkeiten mehr, so daß er nicht mehr beweisen konnte, das er das Potenzial zu einem der besten Hindernisspferde in Deutschland hätte. Daher wurde er von der Trainingsliste genommen und bereichert nun mein Leben jeden Tag mit neuem. Er wird niemals ein Kinderreitpferd und auch seine Untugenden kommen immer wieder zum Vorschein, aber irgendwie haben wir einen gemeinsamen Weg gefunden, der uns bis zu seinem Ende begleiten wird.