PARISIAN WHIRL - ER LIEF 118 MAL, SCHAFFTE 11 SIEGE UND 38 PLÄTZE

Den Traum von einem eigenen Pferd hat wohl jeder, der mit diesen Geschöpfen aufwächst. 

Aber jemals ein Rennpferd zu besitzen, das ist ein sehr großer Traum, der mir eigentlich immer unerreichbar schien. Bis 1999... 

In diesem Jahr war alles anders, und der richtige Zeitpunkt, Träume in Erfüllung gehen zu lassen! Ich saß mit meiner Schwester beim Frühstück, und sie erzählte mir die neuesten Neuigkeiten aus dem Rennstall: Ein uns wohlbekanntes Pferd stehe zum Verkauf. Aufgefallen war mir dieses Pferd bisher nicht besonders, er war brav und schon älter, das wußte ich. Auch, daß er ein gutes Sandbahnpferd gewesen war – in dieser Saison allerdings seine Form nicht finden konnte. Der Besitzer war in finanziellen Schwierigkeiten, wie meine Schwester berichtete, und das Pferd nun am Ende der Sandbahnsaison preiswert zu haben. Ich hatte wirklich nicht geplant, ein Pferd zu kaufen, denn ich hatte bereits einen Ex-Galopper als Freizeitpferd. Trotzdem faszinierte mich die Idee, ein Pferd neu zu motivieren und es wieder in Rennform zu bringen. 

Am nächsten Tag fuhren wir also nach Dortmund, um uns den vierbeinigen Sportsfreund noch mal genauer anzusehen. Unterwegs planten wir vorsorglich schon die zukünftigen Siegesfeiern und kamen in Gedanken bereits lorbeerbekränzt im Rennstall an.

Parisian Whirl, ein 10jähriger brauner Wallach, schien nur auf mich gewartet zu haben. Ich war sehr aufgeregt, als ich die Boxentür öffnete, aber als ich seinen lustigen und zugleich fragenden Blick bemerkte, wußte ich gleich, daß er für jeden Spaß zu haben war. Einmal bei ihm in der Box, bemühte er sich ständig um Körperkontakt, seine langen Ohren spielten vorwärts und wieder zur Seite, ein richtiger kleiner Kasper, das ahnte ich damals schon.

Im Trabzirkel legte er einigen Tatendrang an den Tag, ungewohnt für mich, denn mein anderer Vollblüter ist schon etwas älter und oft recht faul. Dennoch hatte ich das Gefühl, daß auch Parisian Whirl ein passables Freizeitpferd werden könnte. Unser Trainer war zwar wie wir der Meinung, daß ein Start mit ihm in der kommenden Sandsaison möglich wäre, aber mit Sicherheit konnte man natürlich nicht wissen, ob er noch als Rennpferd einsetzbar sein würde.

Als "Maifeiertagsgeschenk“ kam er bei mir im Reitstall an, und die Arbeit begann.

Behutsam versuchte ich ihm beizubringen, daß man auf einem Außenreitplatz zwar durchaus galoppieren kann, es aber mit der Geschwindigkeit nicht unbedingt übertreiben muß. Versammelter Galopp – ein Fremdwort. Morgen für Morgen verbrachte ich damit, ihn ein wenig zu zivilisieren, ohne daß er bockig wurde. Wir wurden uns aber schnell einig, und die ungewohnten Aufgaben gefielen ihm gut.

Sämtliche Dressurfiguren erkannte er schnell wieder und versuchte, durch eigenmächtiges Vollenden dieser Gymnastikübungen seinen Eifer kundzutun.

Dafür durfte er dann auf der Koppel und im Paddock herumtollen wie ein Rodeopferd, was er sichtlich genoß. Nach einiger Zeit wagten wir uns auch ins Gelände, der erste Ausritt – nur im Schritt – war eine nervenaufreibende Angelegenheit für den sonst so erfahrenen und durch nichts zu erschütternden Galopper. Schweißüberströmt ging er neben seinem älteren Kollegen her, bemüht, so unsichtbar wie möglich zu sein. Er wurde jedoch mit jedem Ausritt lockerer, und nebenbei formte sich so langsam seine Figur, die Muskulatur ließ nun nichts mehr zu wünschen übrig. Da sich der mentale Zustand des "Rennurlaubers“ auch zusehends verbesserte, wurde es mittlerweile schwierig, ihn ausreichend zu beschäftigen. Als dann der Herbst kam und ich mit meinen Trainingsvorbereitungen fertig war, hieß es Abschied nehmen. Schließlich sollte er jetzt wieder in den Rennstall, sollte uns zeigen, ob er noch Spaß an seinem alten "Job“ hätte.

Im Training machte sich Parisian Whirl prima. Viele hatten ihn gar nicht wieder erkannt, so gut hatte ihm die Pause getan. Er entwickelte großen Ehrgeiz, manchmal war er so übermütig und voller Tatendrang, daß man ihn kaum bremsen konnte. Leider begann er schon damals, seine "Rennen“ morgens zu laufen, was ihn später oft daran hinderte, am tatsächlichen Renntag sein volles Leistungsvermögen zeigen zu können.

Bald war es dann soweit, der erste Start, das erste Rennen für "mein“ Rennpferd Parisian Whirl! Meine Schwester, die ihn häufig im Training ritt, sollte ihn auch im Rennen steuern.

Schon oft hatte ich Pferde für Rennen zurechtgemacht. Sie herausgeputzt und im Führring  präsentiert. Aber jetzt war es etwas Anderes. Es war mein Pferd, das ich mit Hingabe und angenehmer Aufregung striegelte. Das Läuten, welches anzeigt, daß nun die Jockeys aufsitzen, machte mich richtig nervös. Jetzt war es gleich soweit, nur noch wenige Minuten bis zum Start. Der Weg zum Geläuf kam mir noch nie so kurz und lang zugleich vor. Viele Zuschauer wünschten uns "Hals und Bein“, der traditionelle Glücksspruch im Rennsport.

Dann kam der Moment, wo der Führzügel durch den Kinnriemen gleitet und man das Pferd losläßt, damit es abspringen kann zum Aufgalopp  - wohl für jeden Pferdeführer ein ganz spezieller Augenblick. Alle guten Wünsche, alle Hoffnung, aber auch alles Tragische, was bei jedem Start passieren kann, schwingt in diesem Moment mit. Und diesmal war es wahrlich etwas ganz Besonderes für mich. Ich sah den Beiden hinterher, wie sie zu den Startboxen galoppierten und fühlte mich allein auf der gut besuchten Rennbahn...

Bald waren alle Pferde eingerückt und dann ging das Feld auf die Reise. Der Rennverlauf war unspektakulär, aber darum ging es auch gar nicht. Mein Pferd lief mit, und zwar gar nicht so schlecht, dafür daß er so lange kein Rennen gelaufen war.

Viele Rennen folgten, das nächste bescherte uns sogar einen sensationellen zweiten Platz! Es summierten sich noch einige schöne Platzierungen, und ich werde niemals vergessen wie ich ihn und meine Schwester jedes Mal angefeuert habe auf der Zielgeraden, auch wenn es leider nie zu einem Sieg in unseren Farben gereicht hat.pp p

Jetzt ist er 13 Jahre alt, darf sich nun auch Rennrentner nennen. Er genießt seinen Lebensabend zusammen mit meinem anderen ehemaligen Galopper. Und wenn ich abends das Licht ausmache, die zwei dann unter sich sind, haben sie sich bestimmt eine Menge zu erzählen...